ADHS und Medikation: Alles, was Du wissen musst

Die Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist ein komplexes Thema. Wer kann profitieren, wie wirken Medikamente, und welche Alternativen gibt es? Dieser Artikel gibt Dir einen Überblick, um Dich umfassend zu informieren. 

Wer verschreibt ADHS-Medikamente?

In Deutschland dürfen nur bestimmte Fachärzt:innen ADHS-Medikamente verschreiben, darunter:

  • Psychiater:innen
  • Neurolog:innen
  • Kinder- und Jugendpsychiater:innen

Hausärzt:innen können nach Rücksprache und Vorlage eines Berichts oder einer Verordnungsempfehlung eine Weiterverordnung in Absprache mit dem Facharzt bzw. der Fachärztin ausstellen. Eine Erstverordnung ist ihnen in der Regel jedoch nicht gestattet. Es wird empfohlen, dies im Vorfeld mit der Hausarztpraxis zu klären, da die Regelungen je nach Bundesland variieren können.

Für wen ist eine medikamentöse Behandlung geeignet?

Medikamente kommen für Menschen infrage, bei denen ADHS-Symptome den Alltag erheblich beeinträchtigen. Zu solchen Beeinträchtigungen gehören:

  • Probleme mit Konzentration und Aufmerksamkeit, vor allem bei operativen/planerischen Aufgaben
  • Impulsives Verhalten, das Konflikte auslöst (Beziehungen, Finanzen, Beruf)
  • Starke innere Unruhe, die zu Stress und Erschöpfung führt

Warum gibt man vermeintlich „aufgedrehten“ Menschen Stimulanzien?

Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass ADHS mit „Hyperaktivität“ gleichzusetzen sei.

Tatsächlich liegt ADHS eine Unteraktivität in Gehirnregionen zugrunde, die für Aufmerksamkeit, Planung und Impulskontrolle verantwortlich sind.

Stimulanzien wie Methylphenidat (z. B. Ritalin®) erhöhen die Verfügbarkeit der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin. Das fördert eine bessere Signalverarbeitung und gleicht die fehlende Balance aus. Dadurch können Betroffene klarer denken und handeln. (Quelle: Faraone et al., 2021).

Welche Medikamente gibt es?

Zu den häufigsten Medikamenten zählen:

  • Methylphenidat (z. B. Ritalin® / Medikinet®):
    Wirkdauer ca. 4 - 6 Stunden, verbessert Fokus und Impulskontrolle.
  • Amphetaminsalze (z. B. Elvanse®):
    Lange Wirkdauer, oft für Erwachsene geeignet.
  • Nicht-Stimulanzien (z. B. Atomoxetin/Strattera®):
    Wirkung tritt langsamer ein, eignet sich aber gut für Menschen, die Stimulanzien nicht vertragen.

Warum empfiehlt die S3-Leitlinie keine Bedarfsmedikation?

Laut der S3-Leitlinie zur ADHS-Behandlung ist eine Bedarfsmedikation nicht empfohlen. Stattdessen rät sie zu einer täglichen Einnahme, um eine gleichmäßige und zuverlässige Wirkung zu gewährleisten.
Dennoch verschreiben einige Fachärzt:innen eine Bedarfsmedikation, besonders bei Erwachsenen. Das geschieht Off-Label, also außerhalb der zugelassenen Anwendung. Viele Patient*innen machen gute Erfahrungen mit der Einnahme nach Bedarf. Sie nehmen beispielsweise die Medikamente nur wochentags oder an Tagen, die viele operative Aufgaben beinhalten.

Verändert die Medikation die Persönlichkeit?

Nein. ADHS-Medikamente verändern nicht Deine Persönlichkeit.

Sie helfen Dir, Impulse besser zu kontrollieren und Dich auf das Wesentliche zu konzentrieren. ADHS-Medikamente gleichen ein Defizit auf Transmitterebene aus und sind daher kein Dopingmittel, sondern ein Hilfsmittel. So wie eine Brille bei einer Sehschwäche.

Wie komme ich an einen Termin zur Medikation?

Vorherige Diagnose:

Falls Du schon diagnostiziert bist, erleichtert das die Terminfindung. Viele neurologische und psychiatrische Praxen haben keine Kapazität, selbst zu diagnostizieren. Es kann also helfen, in spezialisierten psychotherapeutischen Praxen/Instituten eine Diagnose zu bekommen und erst dann auf die Suche nach fachärztlicher Begleitung für die Medikamente zu gehen. (Hier findest du Informationen zur ADHS-Diagnostik bei unserer Katrin Terwiel)

Online-Plattformen nutzen:

Websites wie Doctolib oder Jameda zeigen verfügbare Termine an. Oft helfen die Krankenkassen sowie die Telefonnummer 116117 bei der Suche. Auch Google bzw. Google Maps kann hier hilfreich sein. Hausärztliche Praxen können einen Dringlichkeitscode ausstellen, damit Dir über die 116117 schneller geholfen werden kann.

Geduld:

Die Wartezeiten bei Fachärzt*innen können mehrere Monate betragen. Frühzeitige Planung ist wichtig. Wenn Du einen Diagnostiktermin hast, kannst Du ggf. schon frühzeitig einen psychiatrischen / neurologischen Termin im Anschluss planen.

Wie wirken die Medikamente?

Medikamente erhöhen die Konzentration der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin. Dadurch können sie Fokus, Motivation und Impulskontrolle verbessern. Nicht-Stimulanzien wie Atomoxetin wirken stabilisierend auf das Noradrenalin-System und haben keinen direkten Einfluss auf das Dopaminsystem.

Müssen die Medikamente täglich eingenommen werden?

Ja, die S3-Leitlinie empfiehlt eine regelmäßige Einnahme, um eine stabile Wirkung zu gewährleisten. Eine Bedarfsmedikation wird von der Leitlinie nicht empfohlen, da sie die Symptomkontrolle erschweren kann. Viele Fachärzt*innen haben jedoch gute Erfahrungen mit einer Bedarfsmedikation durch Stimulanzien gemacht und verschreiben diese so, dass sie je nach Tagesform und Tagesanforderung eingenommen werden können. Dies empfiehlt sich vor allem dann, wenn die Symptomatik an manchen Tagen bzw. in manchen Lebensbereichen besonders belastend ist.

Was zeigt die Forschung zur Wirksamkeit?

  • Rund 70 % der Betroffenen berichten über eine deutliche Symptomverbesserung durch Medikamente (Quelle: Faraone et al., 2021).
  • Studien zeigen, dass Medikamente bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen effektiv sind (Quelle: S3-Leitlinie, 2018).

Alternativen zur Medikation: Was kannst Du tun?

Psychotherapeutische Einzelbehandlung

Die Verhaltenstherapie (VT) hilft Dir, Struktur in Deinen Alltag zu bringen und negative Denkmuster zu durchbrechen. Tiefenpsychologische Angebote (TP) unterstützen Dich dabei, emotionale Muster und tiefsitzende Konflikte zu bearbeiten, die durch ADHS entstehen oder verstärkt werden. Ziel ist es, langfristig ein stabileres Selbstbild zu entwickeln und emotionale Auslöser besser zu verstehen.


Gruppentherapien oder -coachings

Gruppenformate ermöglichen den Austausch mit anderen Betroffenen. Du kannst von deren Erfahrungen lernen und Strategien entwickeln, die auf Deine individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Die Dynamik in der Gruppe hilft zudem, soziale Kompetenzen zu stärken. Vor allem gelingt es vielen Menschen durch die Arbeit in Gruppen besser, mitfühlend und freundlich zu sich selber zu sein.

Ganzheitliches Coaching bei den DragonRiders

Im Gruppencoaching der DragonRiders, erhältst Du Coaching mit Psychotherapieexpertise durch die beiden Coaches, die auch Psychotherapeut*innen sind.

Sport und Bewegung

Regelmäßige Bewegung wirkt positiv auf die Aktivität der Neurotransmitter. Besonders wirksam sind:

  • Ausdauersportarten: Laufen, Schwimmen, Radfahren.
  • Krafttraining: Fördert die Konzentration durch gezielte Belastung.
  • Yoga: Reduziert Stress und steigert die Achtsamkeit.
  • Ergotherapie: Unterstützt die Entwicklung von Alltagskompetenzen und verbessert motorische sowie kognitive Fähigkeiten.
  • Neurofeedback: Trainiert die Selbstregulation der Gehirnaktivität und kann Konzentration sowie Impulskontrolle fördern.

 

Ernährung

Die Studienlage zum Zusammenhang von Ernährung und AD(H)S ist bisher noch unklar. Vor allem bzgl. der Frage, ob einzelne Lebensmittel oder Inhaltsstoffe helfen könnten. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass ...

  • Kinder und Erwachsene: Omega-3-Fettsäuren (z. B. in Fisch oder Leinsamen) die Gehirnfunktion unterstützen können.
  • Erwachsene: Lebensmittel, die Konzentrationsschwankungen begünstigen – wie Zucker und Koffein – möglichst reduziert werden sollten. Stattdessen wird eine gleichmäßige Energiezufuhr durch proteinreiche Kost und komplexe Kohlenhydrate empfohlen.

Vorteile der Medikation

  • Verbesserte Konzentration: Aufgaben können leichter bewältigt werden, es kommt zu einer verbesserten Wahrnehmung
  • Weniger Stress: Impulskontrolle wird gestärkt.
  • Höhere Lebensqualität: Beziehungen und Alltag profitieren von mehr Stabilität.
  • Effektive Basis: Medikamente schaffen Raum für persönliche Entwicklung durch Coaching und Therapie.

Nachteile und Stolpersteine

  • Nebenwirkungen: Schlafprobleme, Gewichtsverlust, erhöhter Puls oder Kopfschmerzen sind möglich.
  • Wechselwirkungen: Kaffee, Alkohol und bestimmte Medikamente können die Wirkung beeinflussen.
  • Reiseprobleme: Medikamente wie Methylphenidat unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz und erfordern Nachweise bei Reisen.
  • Versicherungen: Eine ADHS-Diagnose kann bei privaten Krankenversicherungen Einschränkungen nach sich ziehen.

Fazit:

Medikamente sind keine alleinige Lösung, können jedoch - eingebettet in ein individuelles Behandlungskonzept - eine bedeutende Unterstützung im Umgang mit ADHS sein. In Kombination mit Therapie, Bewegung und einer bewussten Lebensweise bieten sie Menschen mit ADHS die Chance auf mehr Lebensqualität und Selbstbestimmung.

Quellen:

Bloch, M. H., & Qawasmi, A. (2011). Pediatrics.

Cortese, S., et al. (2018). Lancet Psychiatry.

Faraone, S. V., et al. (2021). Journal of Clinical Psychiatry.

S3-Leitlinie ADHS (2018). Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften.

Pontifex, M. B., et al. (2019). Neuroscience Letters.

 

Disclaimer:

Dieser Artikel dient der Information und ersetzt keinen ärztlichen Rat. Er basiert auf dem aktuellen Wissensstand, der sich durch neue Forschungsergebnisse ändern kann. Wende Dich bei Fragen zu Behandlungsmöglichkeiten stets an Fachärzt*innen, approbierte Psychotherapeut*innen oder sachkundige Heilpraktiker*innen für Psychotherapie.